Herten. Die Deutschen Crosslauf-Meisterschaften in Herten wurden zu einer wahren Schlammschacht. Kraft, Ausdauer, eine gute Renneinteilung sowie ein sorgfältig festgeschnürter Laufschuh waren auf dem morastigen Geläuf in dem Wiesengelände, das treffenderweise den Namen „Über den Knöchel“ trägt, vor allem gefragt. Auf der Männer-Langstrecke verpasste das dezimierte Team der SG Wenden, 2014 und 2015 Deutscher Mannschaftsmeister, die Titelverteidigung und musste sich diesmal mit Bronze begnügen. Für sein mutiges Rennen bei den Junioren U23 wurde der Hademer Jonas Hoffmann (LG Kindelsberg) mit Platz 12 belohnt. Für die Überraschung aus heimischer Sicht sorgte der Neu-Siebziger Dietmar Lehmann vom CVJM Siegen, der Deutscher Crosslaufmeister 2016 in der Altersklasse M70 wurde.
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Es war die richtige Entscheidung des Deutschen Leichtathletikverbandes, die Deutschen Crosslaufmeisterschaften (nach Titelkämpfen im hohen Norden und im tiefen Süden der Republik) erstmals nach 16 Jahren wieder in Westfalen – und damit in der geografischen Mitte Deutschlands – auszutragen. Mit dem SV Herten LA hatte der Verband einen Ausrichter beauftragt, der zum einen eine Cross-würdige Strecke gesteckt sowie eine perfekte Organisation mit kurzen Wegen auf die Beine gestellt hatte. Die Hertener verfügen bereits über umfangreiche Erfahrungen beim Organisieren von Crossläufen. So wurden in den zurückliegenden Jahren auf der attraktiven und übersichtlichen Strecke bereits 15 Vereins-Crossläufe, sieben Kreis- Crossmeisterschaften und drei Westfälische Crossmeisterschaften ausgetragen. 1188 Läuferinnen und Läufer aus 331 Vereinen hatten für die DM gemeldet – 200 (!) mehr als bei den letztjährigen Titelkämpfen im bayerischen Markt Indersdorf.
Verlorene Schuhe – abgerissene Spikessohle
Es war eine Meisterschaft, die den Namen Crosslauf auch wirklich verdient hatte: Kein Waldlauf auf ebenen Wegen, kein flacher Kurs auf trockenen Parkwegen, auf dem in erster Linie die Straßen- und Bahnlaufspezialisten mit einem kraftvollen Laufstil im Vorteil sind. Nein, die Deutschen Crossmeisterschaften 2016 waren Titelkämpfe, die von den Läufern vor allem Tempohärte, Leichtfüßigkeit sowie die Fähigkeit zu Tempo- und Rhythmuswechseln verlangte. Angst vor jeder Menge Schmutzwäsche durften die Athleten nicht haben: Knöcheltief war das Geläuf an einigen Stellen in dem profilierten Wiesen- und Parkgelände. Rund zwei Dutzend Rennschuhe blieben im Matsch stecken, nach jedem neuen Rennen fischten die Streckenposten wieder ein paar Treter aus dem Morast. Gerade im Ziel angekommen machten sich die Läufer auf die Suche nach ihren Schuhen – gar nicht so einfach, denn völlig eingeschlammt waren die kaum noch zu erkennen. Wie stark die Kräfte wirkten wurde beim Fundstück des Tages besonders deutlich: Da steckte plötzlich eine komplett abgerissene Sohle samt Spikesnägeln im Schlamm fest!
Beeindruckend: Alina Reh locker zum DM-Titel
Unbeeindruckt von der schweren Strecke lief Alina Reh (SSV Ulm 1846) bei der Weiblichen Jugend U20, nur eine Woche nach den Deutschen Hallenmeisterschaften, wo sie mit 3.000-Meter-Bestzeit (9:00,58 min) zu Silber stürmte, der Konkurrenz locker und leicht davon. Es war eine Augenweide der „Jugend-Leichtathletin des Jahres“ zuzusehen, wie sie fast tänzerisch über den schweren Boden hinwegflog und dann ohne eine Spur von Ermüdung jubelnd ins Ziel zu laufen.
Deutscher Crossmeister Richard Ringer: „Das hatte mit Laufen nicht viel zu tun!“
Nicht alle Läufer fanden gefallen an der selektiven Crossstrecke. Der Top-Favorit auf der Männer-Langstrecke über 10,4 Kilometer, der 27-jährige Richard Ringer (VfB LC Friedrichshafen), EM-Vierter und WM-Finalist über 5.000 Meter, lief der Konkurrenz zwar auf und davon, siegte in 32:30 Minuten, holte sich nach 2013 und 2014 den dritten Cross-Titel, doch im Ziel fand er nur wenig gute Worte für diesen Kurs: „Vor zwei Wochen bin ich in Diekirch gelaufen und habe gesagt: Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Heute wurde ich eines Besseren belehrt“, erklärte der 27-Jährige und fluchte, „mit Laufen hatte das hier heute nicht viel zu tun. Da ging es in erster Linie darum, dass der Schuh am Fuß bleibt. Immer wieder musste ich das Tempo herausnehmen. Es war eine Strecke zum Quälen.“
SG Wenden dezimiert – Tim-Arne Sidenstein muss aufgeben
Im nur 48 Teilnehmer zählenden Läuferfeld auf dieser Männer-Langstrecke war auch das Team der SG Wenden angetreten, nach 2014 und 2015 zum dritten Mal den Titel zu holen. Dies würde aber nur dann gelingen, wenn alle acht gemeldeten Athleten von Trainer Egon Bröcher auch hundertprozentig fit an den Start gehen würden. Doch die Meisterschaft in Herten stand für die Sauerländer Rothemden unter keinem guten Stern: Gar nicht erst am Start waren Sven-Christian Sidenstein (verletzt), Christian Biele (Erkältung) und Sven Daub (Erkältung) und dann war auch noch beim Zugpferd Tim-Arne Sidenstein seine alte und eigentlich auskuriert geglaubte Kniesehnen-Verletzung wieder aufgebrochen. Vater Walter Sidenstein, der 1982 bei der Cross-DM in Neuss auf der Langstrecke im Feld der Deutschen Elite mithalten konnte, war ebenso frustriert wie sein Sohn: „Es läuft nicht gut bei ihm, er hat wieder Schmerzen.“ Bereits in den Wochen vor der DM konnte der Obersdorfer 29:03-Minuten-Läufer (2014 in Aichach) nur sehr eingeschränkt trainieren und bereits am Start stellte sich die Frage, ob der 27-Jährige das Rennen überhaupt durchstehen würde. Bereits nach dem ersten Kilometer verriet ein Blick in sein schmerzverzerrtes Gesicht: dieses Rennen würde für den Konditormeister kein gutes Ende finden. Und so kam es dann auch, nach knapp drei Kilometern musste Tim-Arne Sidenstein das Rennen mit Schmerzen aufgeben. Tim Arne Sidenstein: „Ich habe schon länger mit dem Knie Probleme; es gibt Tage da spüre ich nichts, es gibt aber auch Tage da geht nichts – und ein solcher ist heute.“ Damit war klar, dass bereits eine Medaille in der Mannschaftswertung für die SG Wenden ein großer Erfolg sein würde.
Eyob Solomun mit Tempowechseln wie ein Kenianer
Besser lief es für Tim-Arnes Laufkollegen Eyob Solomun. Der 23-Jährige aus Eritrea, im Vorjahr bei der Cross-DM in Markt Indersdorf Vierter auf der Langstrecke, lief auch diesmal ein beherztes Rennen. Lange Zeit hielt der Nordafrikaner in der Verfolgergruppe hinter dem späteren Deutschen Meister Richard Ringer mit, lag lange auf dem Bronze-Rang. Doch gegen Ende des Rennens musste er dann doch dem wechselvollen Tempo Tribut zollen und belegte nach schweren 10,4 Kilometern den fünften Platz in 33:26 Minuten. Auf Platz 20 folgte Simon Huckestein (34:52 Minuten), ebenso stark zeigte sich Nils Schäfer, der mit Platz 25 (35:51 min.) das Mannschaftsergebnis komplettierte. Marco Giese kämpfte sich in 36:52 min. auf den 29. Platz vor. Diesmal blieb der SG Wenden hinter dem unschlagbaren Trio von LAC Quelle Fürth (1./29 Pkt.) und der LG Dorsten (2./46 Pkt.) nur der Bronzerang (50 Pkt.). Die Mannschaften aus Braunschweig und Kassel konnte die SG Wenden knapp aber erfolgreich abwehren. Zwei Mal den DM-Titel hintereinander gewonnen, nun der Bronzerang – für Trainer Egon Bröcher war es dennoch ein Erfolg: „Heute haben wir nicht Gold verloren sondern Bronze gewonnen!“
Timo Böhl mit Doppelstart
Ein besonderes Lob verdient Timo Böhl von der LG Wittgenstein. Während die meisten Läufer, die auf der Mittel- und auf der Langstrecke doppelt gemeldet hatten und beim Anblick der morastigen und kraftraubenden Strecke auf einen von zwei Starts verzichteten, kämpfte sich der 28-jährige Wittgensteiner zunächst auf der Männer Mittelstrecke über 4.500 Meter (76./17:14 min.) und dann dreieinhalb Stunden später durch den Schlamm auf der Männer-Langstrecke über 10,4 Kilometer. Hier musste er jedoch das Rennen im letzten Drittel aufgeben. Böhl: „Ich wollte einfach bei so einer Meisterschaft Erfahrungen sammeln.“
Dietmar Lehmann Deutscher Meister in der Seniorenklasse M70
Die Männer-Langstrecke war das letzte Rennen des Tages – ein Wettkampftag, der mit einem Überraschungserfolg aus Siegerländer Sicht begonnen hatte. Bereits um Kurz nach 10 Uhr waren die Senioren der M60 bis M75 und Seniorinnen W50 bis W75, ein riesiges Teilnehmerfeld von 161 Startern, auf die 5.900 Meter lange Strecke gegangen. Auch mit dieser Entscheidung, die Senioren möglichst früh am Tage starten zu lassen, hatten die Organisatoren ein glückliches Händchen. Der Wiesenboden war weich, aber eben längst noch nicht so tief und rutschig wie einige Stunden später, nachdem tausende Läuferbeine den Boden umgepflügt hatten. Mit den Bodenverhältnissen kam Altmeister Dietmar Lehmann vom CVJM Siegen bestens zurecht. Der pensionierte Lehrer aus Dreis-Tiefenbach, der seit Jahresbeginn nun in der Altersklasse M70 an den Start geht, musste jedoch bis ins Ziel alles geben, denn er konnte nicht ahnen, wer in seiner Altersklasse vielleicht vor ihm platziert sein könnte. Doch keiner der zehn M70-Läufer war schneller und Dietmar Lehmann gewann den Deutschen Meistertitel in der M70 in 27:29 Minuten mit 40 Sekunden Vorsprung.
Werner Stöcker läuft zu Bronze in der M75
Im selben Rennen lief auch der 77-jährige Werner Stöcker von der LG Wittgenstein einen guten Wettkampf. In der Zeit von 29:53 Minuten holte sich Stöcker Bronze – mit nur drei Sekunden Vorsprung auf den Viertplatzierten. Ebenfalls im Massenfeld dabei, Günter Bieler vom TuS Deuz. In der Altersklasse M60 erreichte er in 26:48 Minuten Platz 17. Eigentlich hatte der TuS Deuz mit dem M65er Gerhard Schneider und dem M60er Ulrich Vitt eine Mannschaft stellen wollen, doch Gerhard Schneider musste aufgrund von akuten Rückenbeschwerden seinen Start in Herten absagen.
Deuzerin Susanne Büdenbender fehlten nur elf Sekunden zu „Silber“
Im Feld waren mit Susanne Büdenbender (TuS Deuz) und Conny Wagener (LG Wittgenstein) auch zwei starke heimische Läuferinnen am Start. Susanne Büdenbender lief ein mutiges Rennen und am Ende fehlten der 53-Jährigen als sechstplatzierter Frau in der Klasse W50 mit 26:51 min. lediglich 9 Sekunden zum Bronzerang und elf Sekunden zu „Silber“! Die in diesem Jahr erstmals in der W60 startende Conny Wagener lief die 5.900 Meter lange Strecke in 27:56 – die 60-Jährige freute sich über die Bronzemedaille.
5. Platz für M40/45-Team des TuS Deuz
Die Läufer des TuS Deuz hatten bei den Männern M40/45 auch in diesem Jahr ein aussichtsreiches Team gestellt. Gerade die Altersklassen M40/45 waren in diesem Jahr extrem stark besetzt. Vor allem Tobias Schmechel lief als Neu-M40er ein starkes Rennen, in dem er sich die Körner auf der kräftezehrenden Strecke bestens einteilte. In der Besetzung Tobias Schmechel (10. M40/22:20 min.), Andreas Senner (20. M45/22:49 min.) und Patrick Löhr (19. M40/22:55 min.) lief das Trio des TuS Deuz auf den beachtlichen 5. Platz von 16 Teams.
Mit im Teilnehmerfeld war auch Carsten Wunderlich von der LG Kindelsberg, Triathlon-Trainer im EJOT-Team des TVG Buschhütten. Der 44-Jährige Kraftläufer kämpfte sich über die Strecke und belegte in 23:33 Minuten Platz 24 im Feld der 36 M40-Starter.
Jonas Hoffmann mit selbstbewusstem Rennen – 12. Platz in der U23
Besonders gespannt waren die Läuferkollegen und mitgereisten Trainer und Betreuer auf das Rennen der Junioren MU23 über 8,3 Kilometer, denn hier waren die Augen auf Jonas Hoffmann (LG Kindelsberg) gerichtet. Der Triathlet des EJOT-Teams TVG Buschhütten und Schützling von Trainer Carsten Wunderlich, der bei Leichtathletik-Wettbewerben für die LG Kindelsberg startet, hatte aussichtsreiche Chancen, in die Top-Ten der besten Nachwuchslangstreckler Deutschlands zu laufen. Der 20-Jährige lief ein mutiges, couragiertes und selbstbewusstes Rennen. Lange Zeit versuchte Hoffmann das hohe Tempo an der Spitze mitzulaufen.
Amanal Petros mit starken Cross-Qualitäten souverän zum DM-Titel
Vielleicht etwas zu lange, denn dass ein Amanal Petros (SV Brackwede), Deutscher Cross-Meister der U20 in den Jahren 2014 und 2015, nicht zu halten sein würde, musste dem jungen Läufer aus Hadem klar sein. Und während der gebürtige Äthiopier Petros, der seit Mitte 2015 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, nach einer Warmlaufrunde aufdrehte, seine großen Cross-Qualitäten demonstrierte und in 27:42 min. zum erneuten DM-Titel lief, fiel hinter ihm das Feld auseinander. Jonas Hoffmann hielt lange die Position fünf, hatte dabei aber so viele Körner gelassen, dass am Ende die Kraft zu einer Platzierung unter den ersten Zehn fehlte. In 29:10 min. belegte der „Kindelsberger“ den 12. Platz – nur eine Sekunde hinter dem Elftplatzierten Zidane Tewolde von der LG Olympia Dortmund und der ist im Vorjahr über 10 Kilometer auf der Straße immerhin Zweiter der U20 geworden, in 30:24 Minuten.
Nachwuchs der SG Wenden konnte sich nicht durchsetzen – Daniel Trinkner auf 38. Platz
Um Tempohärte und das Sammeln von Erfahrungen ging es auch den Nachwuchsläufern der SG Wenden. Dass bei so einer Deutschen Crosslauf-Meisterschaft ein harter Wind weht, das bekamen die in heimischen Gefilden vom Erfolg verwöhnten Daniel Trinkner, Frederik Wehner und Maximilian Clemens zu spüren. In der Klasse der B-Jugend (U18) über 4.500 Meter belegte das SG-Team in der Besetzung mit Daniel Trinkner (38./17:09 min.), Frederik Wehner (68./18:15 min.) und Maximilian Clemens (79./18:50 min.) mit 185 Punkten Platz 13. Zum Vergleich: Daniel Trinkner lag damit über eineinhalb Minuten hinter dem Sieger Julius Hild (SSC Hanau Rodenbach/15:30 min.) – doch der zweite Blick in die Siegerliste kann dem 16-jährigen Siegerländer durchaus Hoffnung machen. Nur 13 Gleichaltrige des Jahrgangs 2000 konnten sich vor dem Schützling von Trainerin Laura Jacob platzieren: „Gerade hier bei den Deutschen Meisterschaften konnten die Jungs gute Erfahrungen sammeln. Das war heute auch was für den Kopf.“
Jugend-Mannschaft der LG Kindelsberg belegt 12. Platz
Die LG Kindelsberg belegte in der Besetzung Joel Fontayne (65./18:07 min.), Jonas Frensch (80./18:52 min.) und Sam Nicolas Dreute (96./23:16 min.) den 12. Platz in der Mannschaftswertung der Männlichen Jugend U18 über 4.500 Meter. Im Rennen über 5.900 Meter der Männlichen Jugend U20 lief Nils Torben Wehner (SG Wenden) in 24:20 Minuten auf den 80. Platz im 95 Teilnehmer großen Feld.
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