Metzingen/Wilnsdorf. Der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) hat mit Sabrina Mockenhaupt seine erfolgreichste Langstreckenläuferin der vergangenen zwei Jahrzehnte völlig überraschend aus dem Bundeskader geworfen. Dies, obwohl „Mocki“, die am kommenden Mittwoch 37 Jahre alt wird, in diesem Jahr drei deutsche Meistertitel (10.000 Meter Bahn, 10 Kilometer Straße und im Halbmarathon) gewonnen und die Rekordbilanz von insgesamt 45 Deutschen Meistertiteln, sowie die Teilnahme an drei Olympischen Spielen (Athen 2004, Peking 2008 und London 2012) vorweisen kann.
Nach vielen Verletzungen hatte sich die Wilgersdorferin, die seit diesem Jahr für LT Haspa Marathon Hamburg startet und die seit geraumer Zeit mit ihrem Lebensgefährten in der Kleinstadt Metzingen in der Schwäbischen Alb lebt, gerade wieder herangekämpft und war mit Blick auf die Europameisterschaften in Berlin 2018 richtig guter Dinge. Und so kam die Hiobsbotschaft vom neuen DLV-Bundestrainer Lauf Thomas Dreißigacker, dem mit 29 Jahren jüngsten Leitenden Bundestrainer beim Deutschen Leichtathletik-Verband, am vergangenen Donnerstagabend auch wie aus heiterem Himmel.
Über 50 Einsätze im Nationaltrikot
„Ich bin einfach dankbar für 20 Jahre als DLV-Athletin und habe sehr viel Glück gehabt und bin sehr gut unterstützt worden. Für mich gab es nie etwas Wertvolleres, als im Nationaltrikot zu laufen und ich werde das auch im nächsten Jahr bei der EM in Berlin auch ohne Bundeskader versuchen zu tun! Was mich einfach nur ein wenig enttäuscht, ist die Tatsache, dass man diese Entscheidung von jemandem erfährt, mit dem man vorher noch nie gesprochen hat. Ich war so perplex, dass ich gar nicht nach Gründen gefragt habe…“, schrieb Sabrina Mockenhaupt anschließend auf ihrer Homepage. Laufen57 erreichte Sabrina Mockenhaupt am späten Freitagabend telefonisch in Lissabon, wo die erfolgreiche Deutsche Langstrecklerin als Gastrednerin zu einem Motivationsvortrag eingeladen war. „Finanziell bedeutet das für mich kaum eine Einschränkung. Ich habe schon seit 2004 freiwillig auf die Zahlungen der Sporthilfe verzichtet. Auch etliche Kosten wie Flüge zu Trainingslagern habe ich meist aus eigener Tasche bezahlt und habe mir das Geld nicht zurückgeholt. Die Zugehörigkeit zum Bundeskader hatte für mich eine ganz andere Bedeutung: Es war eine Wertschätzung gegenüber meiner Leistung, man gehörte zum Team des DLV, ich habe in 20 Jahren sicherlich über 50 Einsätze im Nationaltrikot gehabt, da bin ich besonders stolz drauf. Man hätte mich aufgrund von Verletzungen sicher schon zu einem anderen Zeitpunkt aus dem Kader werfen können, das zum jetzigen Zeitpunkt zu machen, so knapp vor der EM im eigenen Land, bei der ich im Marathon sogar wieder im Nationalteam starten soll, das ist schon sehr enttäuschend.“
Weitere prominente Läufer betroffen
Ausgangspunkt ist die derzeit oft kritisierte Leistungssportreform des Deutschen Leichtathletikverbandes. Diese soll dafür sorgen, dass Athleten künftig für Deutschland mehr Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gewinnen und somit nur noch die Top-Top-Athleten gefördert werden. Sabrina Mockenhaupt ist nur eines von mehreren prominenten Opfern des neuen Leistungsanspruchs des Verbandes. Ebenfalls aus dem Nationalkader flog die Mittelstrecklerin Corinna Harrer (LG Telis Finanz Regensburg), die gleich mehrfach um Erfolge gebracht wurde, weil Konkurrentinnen nachweislich gedopt waren: So wurde sie bei der Leichtathletik-EM in Helsinki über 1.500 Meter zunächst Neunte – nachdem vier (!) vor ihr platzierte Läuferinnen wegen Dopingvergehens disqualifiziert wurden, rückte sie bis auf Platz fünf vor. Bei den Olympischen Spielen in London 2012 verpasste sie im Halbfinale über 1.500 Meter den Endlauf. Wie sich später herausstellte, waren zwei besser platzierte Läuferinnen gedopt, somit wurde die Regensburgerin um die Endlaufteilnahme gebracht.
Corinna Harrer übt Kritik am DLV
Harrer fühlt sich vom Verband im Stich gelassen, kritisiert die fehlende Unterstützung und Wertschätzung des DLV sowie die schlechte Informationspolitik: „Danke lieber DLV, dass Kommunikation wohl nicht deine Stärke ist. Während gefühlt halb Leichtathletik Deutschland aus dem Laufkader geschmissen worden ist, gab es wohl noch eine Reihe von Bundestrainern die wenigstens Anstand zeigen, den Hörer in die Hand zu nehmen, um Athleten zu informieren. Da bei mir bis heute weder Anruf noch Brief eingetroffen ist hab ich selbst beim Bundestrainer nachgefragt und auch dort keine Antwort bekommen“, schrieb Harrer auf ihrer Facebook-Seite.
Philipp Pflieger: „Danke für nichts“
Prominente „Opfer“ der DLV-Leistungssportreform sind auch der 25-jährige Marcel Fehr (SG Schorndorf), Team-EM-Sieger mit Deutschland und DM-Dritter über 1.500 Meter. Der Student bezifferte den Verlust an Fördergeldern auf 14 000 Euro. Überraschend kam das Aus auch für den 30-jährigen Marathon-Olympia-Teilnehmer von Rio, Philipp Pflieger (LG Telis Finanz Regensburg). Nachdem der Regensburger, der verlauten ließ, nur noch 50 Euro an Kostenzuschuss für Kadertests in Leipzig erhalten zu haben, die Nachricht vom Kaderrauswurf erhielt, reagierte er via Social Media mit Sarkasmus: „Danke für nichts.“ Der Vorwurf etlicher Athleten an den Verband: Schlechte Kommunikation und unklare Kriterien für den Verbleib oder die Aufnahme in den Bundeskader.
„Mocki“ mit guten Sponsorenverträgen
Während junge Athleten auf die Fördergelder zur Fortsetzung ihrer Karriere angewiesen sind, ist das bei Sabrina Mockenhaupt nicht der Fall. Zum einen ist sie noch bis Ende 2018 in der Sportfördergruppe der Bundeswehr, zum anderen ist sie abgesichert durch Sponsorenverträge mit LT Haspa Marathon Hamburg, dem Sportartikelhersteller Puma, dem Laufuhrenhersteller Garmin sowie mit dem Nahrungsergänzungsmittel-Hersteller Orthomol Sport. Auf die Unterstützung von Red Bull muss sie hingegen bereits seit Ende 2016 verzichten, sie gehört nicht mehr zum Athletenpool des Österreichischen Brauseherstellers. Was ändert sich nun also für Deutschlands Vorzeigelangstreckenläuferin? Sie hat keinen Kaderstatus mehr der ihr bisher den unkomplizierten Zutritt zu Trainingsstätten und Olympia-Stützpunkten sowie eine gezielte sportmedizinische Betreuung ermöglicht hat. Unabhängig von der fehlenden Unterstützung durch den DLV bliebt ihr großes Ziel die Marathon-EM-Teilnahme im nächsten Jahr in Berlin.
EM in Berlin bleibt das großes Ziel für 2018
Und da gilt es zwei Aspekte zu beachten: Zum einen muss „Mocki“ die EM-Norm von 2:32 Stunden unterbieten, zum anderen gibt es insgesamt „nur“ sechs Tickets für das Deutsche Frauenteam, die Zeitschnellsten sowie die Deutsche Marathon-Meisterin mit EM-Nom. Die 28-jährige Leipzigerin Katharina Heinig (Berlin-Marathon 2016 in 2:28:34 Stunden) und auch Anna Hahner nach ihrem starken Auftritt beim Berlin-Marathon 2017 als beste Europäerin auf Gesamtplatz fünf in 2:28:32 Stunden sind wohl „gesetzt“ – die Plätze dahinter jedoch noch offen. Deutschlands Schnellste 2017 Fate Tola Geleto (LG Braunschweig/2:27:48 Std.), Lisa Hahner (run2sky/Gengenbach/), Anja Scherl (LG Telis Finanz Regensburg/2:28:54 Std.), die erst 21-jährige Franziska Reng (LG Telis Finanz Regensburg/2:34:57 Std.) – die Konkurrenz ist groß, ein EM-Ticket nicht so leicht zuhaben.
„Mocki“ kämpferisch: „Jetzt erst recht!“
Um einen Platz im DLV-Team zu ergattern, hat sich Sabrina Mockenhaupt nun eine neue Strategie überlegt. Sie will die Konkurrenz zunächst einmal Zeiten vorlegen lassen. „Ich will aus der defensiven Rolle raus und auf die anderen Leistungen meine Antwort geben, ich will reagieren können.“ So hat sie hat ihren geplanten Start beim Marathon in Tokio bereits abgesagt und plant nun ihren Start beim 33. Haspa Marathon Hamburg, oder aber bei der Marathon-DM in Düsseldorf – beide Rennen finden zeitgleich am 29. April 2018 statt. Eine Zeit von unter 2:30 wird sie wohl laufen müssen, um eine Chance auf einen Startplatz zu haben. Dass die fast 37-jährige „Marathonseniorin“ auch nach so vielen Jahren im Nationaldress ihre Kämpferqualitäten und ihren Leistungswillen noch nicht verloren hat, das will Sabrina Mockenhaupt in den nächsten Monaten unter Beweis stellen: „Dass mir die Perspektive für die EM im nächsten Jahr in Berlin eben nicht fehlt, werde ich zeigen! Mein Motto heißt: „Jetzt erst recht!“