Aue-Wingeshausen. Am 20. Oktober 1973 fiel der erste Startschuss zum Rothaar-Waldlauf des TSV Aue-Wingeshausen. Als erster Gewinner trug sich bei den Männern Walter Hirschhäuser in die Statistik ein. Es war die Geburtsstunde eines legendären Volkslaufs über die Höhen des Wittgensteiner Landes und angrenzenden Sauerlandes.
Mit dem 50. Rothaar-Waldlauf 2022 – zugleich die vierte Station der Rothaar-Laufserie um den AOK-Cup – feierte der Landschaftslauf nun Jubiläum. Man könnte viele Geschichten über den Volkslauf mit Start auf dem Wanderparkplatz am Albrechtsplatz hinunter ins Ziel in Aue-Wingeshausen erzählen – hier ein (ganz sicher unvollständiger) Versuch…
Vize-Cross-Weltmeister „Sehne“ Orthmann läuft 1983 „keuchend“ zum Rekord
„Keuchend und schweißgebadet trabte Hans-Jürgen Orthmann durch die Wittgensteiner Wälder einem neuen Rekord entgegen. Mit 1:30:49 Stunden übertrumpfte der 29-jährige vom VfL Wehbach seine eigene Bestzeit über 29 Kilometer und wurde strahlender Sieger.“ Diese Zeilen schrieb die Siegener Zeitung im Herbst 1983 über den Erfolg „des bärtigen Sport- und Biologiestudenten“ beim 11. Internationalen Rothaar-Waldlauf. Die Rekordmarke des Ausnahmeläufers „Sehne“ Orthmann, der drei Jahre zuvor als Vize-Crossweltmeister in Paris die Fachwelt überraschte, hat bis zum heutigen Tage bestand und wird wohl auch nie mehr gebrochen.
15-jährige Marion Schöler und 13-jähriger Ingmar Belz mit sensationellen Laufzeiten
Könnte der Rothaar-Waldlauf seine eigene nunmehr 50-jährige Geschichte erzählen, so gäbe es noch viel mehr zu berichten, als diesen Sieg vom „Mann mit der Mütze“. Zum Beispiel, dass im gleichen Rennen der blinde Günther Weber von der LG Kindelsberg Kreuztal für die eigentlich sensationelle Nachricht des Tages sorgte. Wie der 57-Jährige diese Meisterleistung geschafft hat, das wurde leider nicht überliefert. Der Rothaar-Waldlauf könnte auch zahlreiche Geschichten über große Lauftalente schreiben. Zum Beispiel über Marion Schöler vom TuS Eisern, die 1981, im Alter von erst 15 Jahren die Frauenkonkurrenz über 29 Kilometer (erst später wurde die Strecke auf 28 Kilometer verkürzt) in der sensationellen Rekordzeit von 1:53:52 Stunden gewann und in den Jahren danach mehrfach schnellste Läuferin war. Oder aber die Geschichte vom jüngsten Läufer im Feld im Jahre 1984, als der erst 13-jährige Ingmar Belz vom TuS Erndtebrück die schwere und bergige Strecke in der Zeit von 1:54:14 Stunden bewältigte.
Wandergruppe entfernte Absperrband und führte so die Läufer in die Irre
Erzählt werden muss dann auch das Missgeschick im Jahr 1988. „Wandergruppe sprengte Rothaar-Lauf“ – so titelte die SZ nach dem 16. internationalen Waldlauf. Was war passiert? Eine Frauen-Wandergruppe hatte das Absperrband, mit dem die Strecke markiert war, entfernt und in eine andere Richtung aufgehängt. Die Läuferinnen und Läufer landeten überall, nur nicht im Ziel, einige irrten stundenlang in den Wittgensteiner Wäldern umher. Die Wertung der 28 km Strecke musste damals abgebrochen werden.
Regen, Nebel, Schlamm und sogar Schnee – das Wetter spielte immer eine große Rolle
Dauerregen, Schnee, dichter Nebel, knöcheltiefer Schlamm – der Waldlauf über die Höhen des Rothaar-Kamms forderte die Ausdauersportler immer wieder aufs Neue. Viele Jahre lang galt der Volkslauf mit der Königsdisziplin über 29 Kilometer mit Start am Albrechtsplatz und der Streckenführung über Kühhude, Redder, Jagdhaus, Margaretenstein und Forsthaus Kasimirstal zum Ziel in Aue-Wingeshausen als längster Waldlauf Deutschlands. Zudem war das Streckenprofil mit dem höchsten Punkt auf 768 Meter und dem niedrigsten Punkt auf 443 Meter ü.NN, den Anstiegen hinauf zum „Härdler“ und zur „Hohen Hessel“ durchaus anspruchsvoll. Den Nimbus „längster Waldlauf Deutschlands“ verlor der Lauf in Aue-Wingeshausen spätestens mit der Wiedervereinigung 1990, denn der ebenfalls im Jahre 1973 erstmals gestartete Rennsteiglauf in Thüringen hatte nicht nur einen Landschaftsmarathon sondern auch eine 73 Kilometer lange Strecke im Programm. Um auch Läufer zu begeistern, denen die 29 Kilometer (oder 28 km) doch zu anstrengend waren, wurden 1986 die 15 Kilometer mit ins Programm aufgenommen.
Orthmann, Mockenhaupt, Stöcker, Heinbach – Siegerliste ein Who’s Who
Die Siegerlisten des Rothaar-Waldlaufs lesen sich wie ein Who’s Who des Laufsports in Westfalen: Nicht nur der 22fache Deutsche Meister und ehemalige Jugendweltrekordler über 3.000 Meter, Hans-Jürgen Orthmann, auch die spätere dreimalige Olympia-Teilnehmerin Sabrina Mockenhaupt, die Streckenrekordhalterin Nina Stöcker aus Erndtebrück, Klaus Orten von der LG Sieg, der mehrfache Siegerlandrekordhalter Ralf Heinbach und der talentierte Kai-Uwe Lange trugen sich in die Chronik ein, die hier nur unvollständig aufgelistet werden kann. Der gut organisierte Waldlauf lockte auch Läufer aus Berlin, von Bayer Leverkusen, vom LAZ Hamm, Adler Bottrop und LV Dortmund ins Wittgensteiner Land.
50 Jahre später: Sieger Bräm wird vom ersten Rothaar-Lauf-Gewinner trainiert
Auch wenn die Zeiten der großen Starterfelder vorbei scheinen, die „Legende“ Rothaar-Waldlauf lebt weiter. „250 Gesamtstarter waren unser Ziel, jetzt sind es ein paar weniger geworden, dennoch sind wir mit der Resonanz zufrieden“, erklärte Steffi Linde-Butka vom 100-köpfigen Organisationsteam, das zum 50-Jährigen in diesem Jahr in einheitlichen feuerroten Sweatshirts mit Aufdruck „Rothaar-Waldlauf-Crew“ auftrat. Auch für nächstes Jahr haben die Veranstalter bereits grünes Licht für die Austragung im Rahmen des Rothaar-Cups gegeben. Ein Name fehlt noch in der obigen Auflistung: Der erste Sieger des Rothaar-Waldlaufs am 20. Oktober 1973 war Walter Hirschhäuser im Trikot der EKLG Siegen in 1 Stunde und 40 Minuten. Jetzt, nach 50 Jahren schließt sich der Kreis. Der Trainer des Siegers im Jubiläumsjahr 2022, Christopher Bräm aus Marburg, ist Walter Hirschhäuser vom ASC Breidenbach.